Kriegsende 1945

Der 1945 diensthabende Pfarrer erlebte Ungewöhnliches. Er hatte eine Beisetzung auf Grund höheren Befehls zu begleiten. Und er wusste keinen Namen von denen, die bestattet werden sollten.

Wie war es dazu gekommen?

Polnische Zwangsarbeiter verrichteten wie immer ihre Arbeit auf den Äckern der Unterrißdorfer Flur.
Eines Tages waren plötzlich in der Nähe der Sandgrube Leute zu sehen. Das fiel auf. Was sie taten, war nicht zu erkennen. Es schien irgendwie unheimlich. Der Gutsaufseher, dem man das Ungewöhnliche berichtete, wollte nachsehen gehen, aber ein Unbekannter verwehrte ihm den Weg.
Auf dem Heimweg hörte er Schüsse , die deutlich anzeigten, dass hier Schlimmes passierte. Angst hinderte ihn an einer Meldung bei den Behörden, um ja nicht selbst in Bedrohliches verwickelt zu werden. So nahm er dieses Geheimnis aus der Zeit der Naziherrschaft mit über das Kriegsende.
Die Unruhe damit belastete ihn sehr. So erfuhr schließlich der amerikanische Kommandant in Eisleben davon.
Der Sache wurde nachgegangen, und man entdeckte in der Sandgrube Leichen.
Später traf der Gutsaufseher jenen Mann wieder, der ihm den weiteren Zutritt verweigert hatte. Er hatte zu berichten, dass man Häftlinge eines Konzentrationslagers vor Einrücken der Amerikaner evakuiert, in kleinen Gruppen ziellos Richtung Osten getrieben und nach und nach hingerichtet hatte. Fünf von ihnen mussten hier bei Unterrißdorf eine Grube schaufeln. Sie hatten wohl gehofft, hier gäbe es eine gute Wende ihres Schicksals. Denn sie hatten plötzlich eine Zigarette rauchen dürfen. Aber der letzte Zug war zugleich zum letzten Atemzug geworden.
Nun war nach diesem grausigen Fund den Amerikanern schwer begreiflich zu machen, dass im Dorf niemand von diesem Ereignis gewusst hatte und dass es Ortsfremde gewesen waren, die ihren bestialischen Auftrag da draußen ausgeführt hatten. So wurden hitlergetreue Dorfbewohner gezwungen, die Leichen zu exhumieren und in einem ordnungsgemäßen Sarg unterzubringen. Dann wurde die Bestattung auf dem Friedhof anberaumt. Die Anordnung lautete, es haben alle Unterrißdorfer Bürger mit viel Blumenschmuck daran teilzunehmen. Es sollte ein christliches Begräbnis werden, zu dem ein katholischer als auch evangelischer Pfarrer zugegen zu sein hatte. Denn die Konfession war ja ebenso wenig bekannt wie die Namen der Toten.
Nun schien diese schreckliche Geschichte ihren würdigen Abschluss zu finden. Doch sie hat einen bedeutsamen zweiten Teil:
Als der größte Teil der Anwesenden still betroffen nach Hause gehen wollte, drängte sich bei einigen der Zwangsarbeiter angestauter Hass von innen nach außen. Sie wollten beginnen, gegen die vormals aktiven Parteigenossen der Nazi-Partei vorzugehen und sich tätlich an ihnen zu rächen. Einer von ihnen, von dem man nur den Namen Felix kennt, gebot diesem Ansinnen Einhalt. Er mahnte, man dürfe den Zeitpunkt nicht länger hinausschieben, wo endlich Schluss sein muss mit Krieg und Hass und Rache nach so viel Leid und Ausbeutung, bestialischer Quälerei und Morden. So hielt er seine Landsleute von schlimmen Racheakten zurück.
Die schlichten Worte seiner Versöhnungsbotschaft in polnischer Sprache und unvergessen gutem Deutsch haben sich vielen tief eingeprägt. Es soll hier nicht vergessen werden:
Ein Pole, herausgerissen aus seiner geschundenen Heimat, getrennt von Freundin, Familie und vertrauten Freundeskreisen, hier ausgebeutet und weiterer Bildung und Entfaltung jahrelang beraubt, hatte offensichtlich Frieden in seinem Herzen und durfte anderen daran Anteil geben.

Ein Kommentar aus Polen von 1995:
"Da habt ihr ja in euerm Dorf eine richtig große Geschichte!"

Dennoch gelang leider kein Kontakt zu Felix, wahrscheinlich Mediziner aus Lodz, trotz Suche durch Verbreitung dieser Geschichte über alle deutschen Konsulate in Polen.